Die Tour vom Brienzer Rothorn über den Grat Richtung Westen beginnt als Spaziergang und wandelt sich ziemlich schnell in eine technisch und konditionell anspruchsvolle Tour. Aber das Rothorn hat ja noch mehr zu bieten, als mühsame Berggängerei…
Der Reihe nach: Immer wieder war ich von den Bildern der Gratwanderung angetan und nach dem letztjährigen Überflug in der AT-6A mit Lukas freute ich mich auf das Panorama vom Gipfel. Insbesondere, weil er mit der Brienzer Rothorn Bahn BRB mühelos erreicht werden kann.
War es in Brienz noch sonnig und heiss, hüllten bald Wolken den Gipfel des Rothorns (2’348 m) ein. Die erhoffte Panoramasicht gab’s nicht und auch die Hoffnung auf einen spektakulären Sonnenuntergang wurde zerschlagen. Gemäss Meteo sollte es dann in der Nacht aber aufklaren. Also auch die geplanten Milchstrassenaufnahmen waren gefährdet. So weit sollte aber dann doch nicht kommen.
Immerhin konnte ich mich in mein einfaches Hotelzimmer zurückziehen, anders als die vier jungen Leute, die von Brienz her aufgestiegen sind (Respekt!) und jetzt vorhaben, beim Triangulationsdreieck im Freien zu übernachten (nicht mehr mein Fall…). Ich kündigte aber an, dass ich gegen drei Uhr früh vorbeikommen werde, falls es aufklart. Zu diesem Zeitpunkt ist dann der schon sehr helle Dreiviertelmond bereits untergegangen und es sollte der Blick auf die Milchstrasse möglich sein. Als ich um 02:40 Uhr aus den Federn kroch, sah ich einen Monduntergang, wie ich ihn noch nie gesehen habe: Genau so rot wie die untergehende Sonne versank unser Trabant hinter dem Horizont.
Der Aufstieg zum Gipfel dauerte etwa zehn Minuten und hätte ich nicht gewusst, dass hier vier Menschen nächtigen, ich hätte es nicht bemerkt. Es herrschte absolute Stille.
Dann hiess es zurück ins Bett und den Wecker erneut stellen, der Sonnenaufgang würde um 05:55 erfolgen. Diesmal war ich aber nicht alleine, ein guter Teil der Hotelgäste hatte den Weg auch unter die Füsse genommen.
Zurück im Hotel packte ich meine Ausrüstung und haderte mit der mehr als einer Stunde Wartezeit bis zum Frühstück um Acht Uhr. Und nachdem ich genug gehadert hatte, machte ich mich um 07:10 auf den Weg. Ich hatte zu Essen und zu Trinken dabei und diese Stimmung wollte ich draussen mitbekommen.
Aber so blieb es nicht. Der Weg wurde steiler und schmäler und gelegentlich musste man auch die Hände zu Hilfe nehmen, um die nächste Stufe zu erklimmen. Nach Lättgässli und Chruterepass machte ich auf dem Briefehörnli meinen ersten Stundenhalt.
Die Blumenpracht entlang des Weges war unbeschreiblich. So etwas habe ich noch nie gesehen. Hier oben hat’s schlicht keine Viecher, die das wegfressen ausser den paar Gämsen und Steinböcken…
Ja und dann eben das Tannhorn. Fast 200 m Aufstieg auf sehr schmalem Grat. Die Stöcke können nicht mehr benützt werden, weil seitlich schlicht kein Platz mehr ist zum Einstecken und immer wieder die Hände gebraucht werden. Da geht dann der Spass auch etwas verloren, weil höchste Konzentration gefragt und der Blick auf die nächsten anderthalb Meter Weg gerichtet ist. Ein Fehltritt kann hier zum Absturz führen und der könnte auch fatal enden. Ich konnte nicht einmal den vorbeifliegenden F/A-18 nachschauen. Erstmals war ich auf einem so exponierten Grat unterwegs am Castor (4’225 m), aber dort waren wir zu viert und angeseilt…
Was leider auch bedeutete, weit länger an der inzwischen gnadenlos brennenden Sonne gehen zu müssen, anstatt sich im schattigen Wald talwärts zu bewegen. Mein Flüssigkeitsbedarf schnellte nach oben. Zum Glück hatte es immer mal wieder eine Quellfassung (gilt aus gesetzlichen Gründen nicht als Trinkwasser), an der ich mich abkühlen konnte und auch die Wasserflasche wieder füllen konnte. Nichts desto trotz begannen dann unweigerlich die Knie zu schlottern. Ich begann eine Technik zu entwickeln, mit der ich möglichst viel Gewicht auf die verlängerten Stöcke verlagern konnte. Das ging nur mit nach vorne gebeugtem Oberkörper, wie bei Leuten mit Bandscheibenvorfall. Es muss beschissen ausgesehen haben, aber es funktionierte.
Aber schliesslich war ich zurück in der Zivilisation und freute mich ob der Ankündigung, der Dorfladen im Bahnhofgebäude sei offen. Ich überlegte mir schon die abgestuften Fragen, um mein Objekt der Begierde einzukreisen:
- Haben sie Bier? (die Aktionen waren auf Rugenbräu-Tafeln notiert, also gute Chance)
- Haben sie kühles Bier? (sonst leider Abbruch)
- Haben sie sogar kühles Weizen? (das wäre der Olymp)
Leider alles vergebens: Der offene Dorfladen hat erst um 16:30 Uhr offen… So war Fuse-Tea aus dem Selecta-Automaten Ersatz. Nicht ganz dasselbe, aber zur Durststillung ganz O.K.
772 m Aufstieg, 2’445 m Abstieg, 15 Streckenkilometer – Eine tolle Erfahrung trotz allem!
Neben sinnlichen Eindrücken mitzunehmen ist es aber nicht verboten, auch Lehren für die Zukunft aus solchen Touren zu ziehen. Manche sind einfach umzusetzen, manche erfordern das Überbordwerfen von Gewohnheiten oder Ideen und das kann schon schwieriger sein.
- Touren werden in Zukunft nur noch mit Fotoausrüstung «light» gemacht (Kamera mit Standard-Zoom). Ein Stativ und Zusatzobjektive mitzuschleppen, ist kräfteraubend und kann auch gefährlich sein, weil die träge Masse zu gross und die Beweglichkeit eingeschränkt ist.
- Touren mit durchgehenden Abstiegsetappen von über 1’000 Höhenmetern sind möglichst zu vermeiden (das ist zu relativieren: Wenn dann der Rucksack nicht mehr so schwer ist, kann darauf zurückgekommen werden).
- Für Touren brauche ich einen leichten Fotorucksack mit schnellem Kamerazugriff und der Möglichkeit, Stöcke festzumachen und ein Trinksystem zu integrieren.
- Meinen schweren Fotorucksack werde ich weiterhin auf «Expeditionen» verwenden, bei denen es primär ums Fotografieren geht, aber ich werde ihn nicht mehr auf Gipfel hochschleppen.
Wie es mit der Umsetzung steht, erfährst du sicher in den nächsten Posts 😉.