Physische Fotoalben sind ja nicht die einzige Quelle «optischer Vermächtnisse». Ich habe noch kistenweise Einzelbilder in Umschlägen, häufig mit den dazugehörenden Negativen. Da liegt es auf der Hand, die ursprüngliche Quelle zu nutzen. Aber die Digitalisierung von Negativen ist schone etwas anspruchsvoller als das Erfassen von Papierbildern.
Nein, eine Hexerei ist es nicht. Aber es gibt eine breite Palette von Möglichkeiten, die sich in den Dimensionen Qualität, Preis, Flexibilität und Geschwindigkeit unterscheiden. Die «eierlegende Wollmilchsau», das muss auch gesagt sein, gibt es nicht: Kompromisse in die eine oder andere Richtung müssen eingegangen werden. Ich möchte auf vier Varianten eingehen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit).
Mit Flachbett-Scanner digitalisieren
Da hat man einen Scanner in seinem Multifunktions-Gerät, der auch als «Foto-Scanner» taugen soll und wird dann beim Versuch, ein Negativ zu scannen, bitter enttäuscht, auch wenn mit der maximalen (meist interpolierten) Auflösung von bis zu 6’000 dpi (das entspricht fast irrsinnigen 6 Mio. Bildpunkten pro cm2) eingelesen wird. Auch hier bewahrheitet sich einmal mehr, dass mehr Megapixels nicht gleich bessere Qualität bedeutet. Abgesehen davon, dass es geisttötend lange dauert.
Darüber hinaus fehlt auch die Brillanz, die Sättigung und der Kontrast, weil Negative (oder auch Dia-Positive) eigentlich eine Durchlichtquelle brauchen. Dazu gibt es spezielle Vorrichtungen, die einen gewissen Grad an Verbesserung, aber letztlich doch unbefriedigende Resultate bringen. Dann ist auch meist der Vorteil dahin, dass ganze Negativstreifen auf einmal eingescannt werden können, Abgesehen davon, dass die Nachbearbeitung ziemlich aufwändig ist.
Vorteile
- Günstig, weil die notwendige Hard- und Software meist schon vorhanden sind.
- Negative liegen plan auf, damit keine Unschärfen wegen Bombierung.
Nachteile
- Relativ lange Scan-Zeit, in Abhängigkeit der gewählten Auflösung.
- Vorteil einer allfällig hohen Auflösung ist sehr gering.
- Brillanz der Farben ist schlecht, wenn keine Hintergrundbeleuchtung vorhanden ist.
- Grosser Nachbearbeitungsaufwand: Invertieren, ausrichten, Staub und Kratzer entfernen, Tönung, Sättigung, Schärfung, Kontrast etc.
Fazit
Nicht empfehlenswert, nur als Notlösung in Einzelfällen.
Negativ abfotografieren
Eigentlich müsste ich hier drei separate Abschnitte machen: Abfotografieren mit speziellem Gerät, mit dedizierter Einrichtung (z.B. Repro-Stativ und Leuchtplatte) und ad hoc. Die Resultate unterscheiden sich nicht gross, dafür ist, neben einem unterschiedlichen Preis-Tag, der notwendige Aufwand sehr verschieden. Aber ich werde in den Vor- und Nachteilen auf die Unterschiede eingehen.
Eigentlich müsste ich jetzt noch eine zusätzliche Kategorisierung vornehmen, nämlich nach der Qualität der verwendeten Kamera (Handy bis Vollformat). Das lasse ich aber bleiben und betrachte ausschliesslich Vollformat-Kameras.
Die heutigen Vollformatkameras haben alle hochempfindliche Sensoren und die Objektive davor eine hohe optische Qualität. Also beste Voraussetzung, um das Maximum aus einem Negativ herauszuholen. Mindestens ein Makro-Objektiv muss es dann schon sein, um einen Abbildungsmassstab von 1:1 zu erreichen. Es ginge theoretisch auch mit anderen Objektiven, mit Qualitätsverlust durch Beschneidung (crop) und, fast noch schlimmer, einer höheren Wahrscheinlichkeit von störenden Reflexionen.
Die Nikon D850 hat einen speziellen Aufnahmemodus «Negative digitalisieren». Damit wird das Bild direkt invertiert und der Farbabgleich gemacht, was eine nicht zu unterschätzende Hilfe ist. Nimmt man nämlich das Negativ einfach auf, muss es in der Bearbeitung invertiert werden und die richtigen Einstellungen hier zu finden, ist gar nicht mal so einfach (es gibt beispielsweise in Lightroom keine direkte Funktion zum invertieren von Bildern). Dafür hat die direkte Aufnahmemöglichkeit einen anderen Nachteil, nämlich dass die Bilder automatisch «nur» in JPEG gespeichert werden können. Das ist bei Bildern mit wenig Dynamikumfang auch kein Problem, aber gerade helle (=dunkle) Bereiche zeigen auf Negativen häufig einen viel grösseren Detailreichtum als später auf dem Abzug. Hier kann man aber mit RAW-Aufnahmen unterschiedlicher Belichtung ein HDR erzeugen und die Resultate sind eindrücklich. Der Durchsatz wird damit natürlich massiv eingeschränkt, aber die Option ist faszinierend.
Vor über 40 Jahren hatte ich einmal einen Dia-Kopiervorsatz, das war ein langer Tubus mit einer oder mehreren Linsen und einem Bajonettanschluss an meine damalige Konica T3. Die Abzüge von so kopierten Dias waren mindestens farblich tatsächlich besser als die (teuren) Papierabzüge von Dias, aber von der Schärfe her war das nicht ganz befriedigend. Momentan gibt es eigentlich nur einen derartigen Kopiervorsatz auf dem Markt und der ist von, man ahnt es, Nikon. Ohne billige Linse, setzt aber ein bestimmtes Makro-Objektiv voraus. Ein 60 mm mit einem Filterdurchmesser von 52 mm. Mit Step up oder Step down-Ringen könnte man den Filterdurchmesser noch ausgleichen, aber die Brennweite ist schon ziemlich einzigartig. Interessanterweise gibt es ein Nikkor 60 mm Micro-Objektiv, das die Erfordernisse perfekt erfüllt. Günstigstes aktuelles Angebot: CHF 562.-. Kein Schnäppchen, der Kopiervorsatz schlägt ja auch schon mit rund CHF 180.- zu Buche. Mit meinem 100 mm-Makro stehe ich da etwas im Schilf. Aber für den geforderten Abbildungsmassstab 1:1 müssen eben Sensorfläche und Negativ je gleich weit vom Brennpunkt entfernt sein – und dafür ist der Tubus des Adapters Nikon ES-2 einfach zu kurz. Wie die Rechnung trotzdem aufgehen könnte, dazu später. Die Urteile über den ES-2-Adapter auf dem 60 mm-Makro sind jedenfalls sehr gut.
Die nächstbeste Form, Negative abzufotografieren, besteht aus einem Repro-Stativ mit Leuchtplatte. Allenfalls mit einem Negativhalter oder einer zusätzlichen Glasabdeckung, um die Negative absolut plan zu halten. Ist auch nicht gratis und damit eigentlich weder Fisch noch Vogel.
Die dritte Art ist ein ad-hoc-Setup, wie ich es verwendet habe, um das Ganze überhaupt einmal auszutesten: Ein Stativ und ein altes Handy als Lichtquelle waren alles. Das Resultat ist erstaunlich. Man hätte auch hier noch optimieren können, aber mir ging es vor allem um den «proof of concept».
Vorteile
- Beste Qualität. Volles Ausnützung des Sensors und beste optische Qualität.
- Möglichkeit, mit HDR das Letzte aus den Negativen herauszuholen.
- Scanvorgang selbst sehr schnell.
Nachteile
- Relativ aufwändige Nachbearbeitung notwendig, dadurch insgesamt langsam.
- Jedes Bild muss einzeln justiert werden.
- Bestimmtes Objektiv für den Einsatz des Kopieradapters notwendig.
Fazit
Für ambitionierte Ansprüche ein gangbarere Weg. Bei grossen Serien ist eher davon abzuraten.
Einsatz eines Negativ-Scanners
Das Angebot von Negativ-Scannern ist gross. Die Qualitätsunterschiede sind es, in mehrfacher Hinsicht, auch. Abzuraten ist definitiv von Geräten unter CHF 150.-. Für dieses Geld gibt es keinen guten Sensor und noch viel weniger eine gut Optik. Die Resultate sind sicher enttäuschend. Gute Noten bekommt der Kodak SCANZA Digital Film Scanner für unter CHF 200.-, der komplett ausgestattet ist, aber eine relativ bescheidene Auflösung hat. Für Scans, die nachher nur auf dem Handy betrachtet werden, sicher O.K., sonst wohl eher nicht. Die Preisskala ist nach oben offen, ich vermute, dass ab CHF 2’000.- dann wahrscheinlich sehr gute Qualität geliefert wird. Aber auch Scanner für CHF 500.- punkten bereits mit Infrarot-unterstützter Staubentfernung (die aber häufig nicht so gut funktioniert wie versprochen). Was die Scanner im dreistelligen Bereich gemeinsam haben, ist, dass sich die Scan-Zeit bei hoher Empfindlichkeit empfindlich verlängert. Das können dann gerne einmal 15 Minuten oder mehr sein pro Negativ! Dazu kommt die unterschiedliche Anbindung an den Computer: Von Geräten mit direktem USB-Anschluss bis Geräten, die nur auf einer lokalen SD-Karte speichern können, gibt es alles. Rechnet man dann die auch hier notwendige Nachbearbeitungszeit noch dazu, dann wird es im Bereich der höheren Ansprüche zu einer langwierigen Angelegenheit.
Vorteile
- Speditive Serien-Scans möglich bei tiefen Qualitätsansprüchen.
- Relativ günstige Komplett-Lösungen für tiefe Qualitätsansprüche.
Nachteile
- Scans dauern bei hoher Qualität sehr lange.
- Datentransfer teilweise umständlich.
- Nacharbeitung teilweise auch hier notwendig.
- Notwendige Einarbeitung in teilweise proprietäre Software.
- Teure leistungsfähige Geräte.
Fazit
Kein Hersteller kann seine vollmundigen Versprechen einhalten. Und menschliche Nacharbeit schlägt die hier eingesetzte KI noch um Längen. Bei tiefen Qualitätsansprüchen (z.B. Weitergabe auf Handy) durchaus in Erwägung zu ziehen, aber sonst ist eher davon Abstand zu nehmen.
Externe Lösung
Und natürlich gibt es auch Anbieter, die das professionell machen. Die Preisspanne reicht hier von unter 30 Rappen bis über einen Franken pro Negativ, je nach Qualitätsanspruch, Auswahl und Menge. Hier kann man ein gutes Resultat erwarten, allerdings ist nur schon die Bereitstellung eine nervenzehrende Herausforderung. Wenn man dann sowieso jedes Negativ einzeln betrachten muss, dann könnte man ja… Unn Tausende von Negativen einzuschicken, um anschliessend in tausenden von Bildern zu ersaufen, das bringt es auch nicht. Wenn man die Negative zusammen mit dem jeweiligen Fotoalbum bearbeitet, dann ist der Bezug leichter herzustellen, als wenn einfach Bilder zurückkommen, die keine sprechenden Namen haben und der Zeitstempel von vorgestern ist.
Vorteile
- Viele Angebote im Markt, teilweise grosse Unterschiede.
- Sehr gute Qualität möglich, inkl. individueller Nachbearbeitung.
- Für zusammenhängende Serien hervorragend geeignet.
Nachteile
- Aufwändige Bereitstellung der Negative (Auswahl, Bezeichnung etc.)
- Ich würde keine Massenscans beauftragen: Mit der erhaltenen Datenflut wird niemand glücklich.
- Teilweise lange Lieferzeiten.
Fazit
Wenn jemand einmal die Negative der Sommerferien von 1975 digitalisieren will, ist das sicher die Lösung. Für Einzelaufträge zu teuer, bei Serien zu unübersichtlich.
Gesamtfazit
Die Patentlösung gibt es nicht. Je nach Ansprüchen eignet sich die eine oder andere Variante. Bei hohen Qualitätsansprüchen könnte sich die Anschaffung eines Makroobjektivs zusammen mit dem Digitalisierungsadapter bereits ab rund 1’000 Kopien rechnen.