«Northern Lights guaranteed» ist ein tolles Versprechen, welches ich noch so gerne für bare Münze genommen hätte. Aber mit doppelter Islanderfahrung in Bezug auf das Wetter und den Berichten enttäuschter Kollegen war mir klar, dass es auch anders kommen könnte. Und es kam anders…
Das Bild im Kopf ist ein fake Teaser (der Vordergrund ist eine Aufnahme des Bergs Kirkjufell im Westen Islands von unserer Reise 2018, den Himmel habe ich aus dem Web hineinkopiert). Eine Islandreise stand eigentlich nicht auf dem Programm, aber in den Ferien auf Rhodos erreichte mich ein Angebot von Icelandair, das fast nicht abzulehnen war. In der Tour vom 14.-17.11.2022 waren für 850 € Flug mit Sitzplatzreservation, Flughafentransfer, drei Übernachtungen mit Frühstück, eine Northern Lights Tour und eine Golden Circle Tour inbegriffen. Ich buchte noch eine zusätzliche Northern Lights Tour am Ankunftstag, um die Chancen auf dieses einmalige Erlebnis zu erhöhen. Daraus wurde, wie bereits angedeutet, leider nichts. Aber der Reihe nach.
Anreise
Der Flug FI569 war für 13 Uhr geplant, was zu einem seltenen Erlebnis beim Baggage Drop-Off (Check-In online am Vorabend) am Flughafen Zürich geführt hat: Kein Anstehen, es hatte schlicht niemanden am Check-In 3. Ich wertete das als positives Signal für das ganze Vorhaben. Dem konnte auch die Tatsache, dass die Icelandair seit einiger Zeit nur noch mit Boeing 737 nach Zürich fliegt (früher waren es Boeing 757), nichts anhaben (ich bin kein Fan der 737). Die Reihen 5 bis 7 hinter der Saga-Premium Klasse haben grösseren Sitzabstand als die übrigen Economy-Sitze, da fühlte ich mich auf Sitz 6F der 737 MAX 8 «Fögrufjöll» TF-ICR (am rechten Fenster) gut aufgehoben. Abgesehen davon, dass unser Block der einzige mit drei Passagieren war. Nach dem «Boarding completed» fragte ich meinen Sitznachbarn, ob er nicht in eine freie Reihe wechseln wolle, was er auch sofort tat. Auf der rechten Seite würde ich beim Anflug allenfalls die Möglichkeit haben, den im August ausgebrochenen Vulkan Fagradalsfjall zu sehen. Aber just am Vorabend wurde die Eruption offiziell für beendet erklärt.
Ein Ticket für den FlyBus hatte ich nicht, aber in der Buchungsbestätigung der Icelandair hiess es, ich solle diese am Schalter in der Ankunftshalle vorweisen. Das hat mich etwas irritiert, weil das nur ein Prosatext auf Deutsch war. Hat aber geklappt, das Drop-Off-Ticket für das Reykjavík Natura – Berjaya Iceland Hotels wurde mir anstandslos ausgehändigt. Auf der Fahrt nach Reykjavík fiel mir ein etwa 600 Meter langes Gebäude auf. Der Schleier des Unwissens darüber würde sich noch heute Abend lüften.
Nach dem Einchecken im Hotel machte ich mich daran, die Ausrüstung für die Northern Lights Tour am Abend bzw. in der Nacht vorzubereiten. Die Temperaturen lagen deutlich über dem Gefrierpunkt, was wohl den Einsatz der Heizmanschette für das Objektiv zur Verhinderung einer beschlagenen Frontlinse obsolet machen würde.
Klarer Himmel, aber kein Polarlicht
Warm eingekleidet wurde ich zusammen mit ein paar anderen Leuten vom Bus für die «Small Groups Tour» abgeholt. Der Bus war dann doch etwas zu klein, im Bus-Terminal wechselten wir noch in ein etwas grösseres, offroadfähiges Modell. Chauffeur und Tour-Guide Kjertan wies uns noch auf die Gurtentragpflicht hin und los ging’s Richtung Westen, der noch unter klarem Himmel war, derweil ein leichter Ostwind Wolken in Richtung der Halbinsel Reykjanes trieb.
Mit seiner langjährigen Erfahrung als Northern Lights Tour-Guide meinte Kjertan, dass von den verschiedenen Faktoren eigentlich nur zwei unmittelbaren Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit haben, Polarlichter sehen zu können, nämlich erstens die Lichtverschmutzung und zweitens das Wetter. Alles andere (koronaler Massenauswurf, KP-Index etc.) lässt zwar Aussagen über die Voraussetzungen zu, aber nicht über die Sichtbarkeit. Dies sei vermutlich auch der Grund, weshalb die Aurora Borealis nie Eingang gefunden habe in die Isländische Mythologie (im Gegensatz zu anderen Himmelsphänomenen wie Regenbogen oder Blitze): Sie folgt keiner einigermassen verlässlichen Regel und ist darum nicht mit Vorkommnissen verknüpfbar.
Von den 370’000 Einwohnern Islands wohnen etwa zwei Drittel im Grossraum Reykjavík und belegen damit, ohne verdichtetes Bauen, eine ordentliche Fläche, die vor allem im Winterhalbjahr intensiv beleuchtet wird, da die Tage sehr kurz sind (bei der Sonnenwende liegen noch etwas mehr als vier Stunden zwischen Sonnenauf- und -untergang). Diesen orangen Lichtmoloch mussten wir zuerst einmal hinter uns lassen. In Hafnarfjörður startete der erste Versuch. Aber schon bald war der Himmel so bedeckt, dass wir gezwungen waren, noch weiter nach Westen auszuweichen. Das führte uns dann auch wieder am grossen Gebäude vorbei. Laut Kjertan ist das eine von drei Aluminiumhütten in Island, die zwar alle mit vollständig emissionsfreier Energie versorgt werden, aber über 70% (!) des gesamten produzierten elektrischen Stroms verbrauchen.
Wenigstens hatte ich die Möglichkeit, die Aufnahmeeinstellungen zu testen. Die Objektivheizung brauchte ich, wie vermutet, nicht, dafür war es zu warm (3°) und zu trocken. Aber der Entscheid, das schwere Stativ mitzuschleppen, war richtig. Es würde sich ja hoffentlich noch auszahlen…
Zurück im Hotel gönnte ich mir noch ein Gull-Bier von der Selbstbedieung (33cl für heftige ISK 1’200/ CHF 8.-).
Reykjavík zu Fuss
Für den folgenden freien Tag hatte ich kein Programm, ich wollte mich einfach etwas im Zentrum von Reykjavík «vertun». Dank der Nähe des Hotels zum Zentrum konnte ich alles zu Fuss machen. Ich zog zwar noch den Besuch der Installation Chromo Sapiens in Betracht, aber das lag schliesslich ausserhalb des Perimeters. Ich bin ja schon zweimal in Reykjavík gewesen und fand mich problemlos zurecht, aber 2016 un 2018 war jeweils die Familie dabei und die fehlte mir jetzt schrecklich.
Northern Lights Tour abgesagt
Unterwegs bekam ich dann das E-Mail, dass die heutige Northern Lights Tour wegen schlechtem Wetter abgesagt sei. Na ja, eine Möglichkeit hatte ich ja noch und aus meteorologischen Gründen abgesagte Touren können kostenlos nachgeholt werden. Trotzdem beschloss ich, nach einem Einkauf im Bónus, Laugavegur 59 Kjörgarður (Bier, Wasser und Chips), zurück zum Hotel zu gehen und mich in den Spa-Bereich, der nur bis 19 Uhr offen ist, zu fläzen. Auf dem Weg schaute ich gleich noch bei Reykjavík Excursions vorbei, um mich für den morgigen Abend vormerken zu lassen.
Der Spa-Besuch war toll.
Golden Circle Tour
Eine «Golden Circle Tour» war im Angebot mit inbegriffen, war aber für die Annahme nicht entscheidend, weil ich drei der vier Orte bereits gesehen hatte. Aber nach der zweiten Nacht ohne Polarlichter war es eine willkommene Abwechslung und zu Geysir und Gullfoss geht man gerne wieder hin. Der Gullfoss, «Goldener Wasserfall», hat auch den allgemein gebräuchlichen Begriff des «Golden Circle» (Gullni hringurinn) geprägt.
Pick-up beim Hotel war relativ spät um halb Neun, aber immer noch bei völliger Dunkelheit. Der grosse Car war bis auf den letzten Platz besetzt, als wir in südöstlicher Richtung via Selfoss zum Friðheimar Greenhouse fuhren. Die Fahrt dauerte gute anderthalb Stunden und die Reisefüherin (ich habe ihren Namen vergessen) gab sich alle Mühe, uns mit Isländischen Anekdoten zu unterhalten, was ihr sogar ganz leidlich gelang. Eine ist mir geblieben:
Die Isländer sind «Sommerhaus-Fetischisten», in denen sie die Wochenenden und Ferien verbringen, manchmal auch das ganze Jahr über. Jeder, der es sich leisten kann, schafft sich so ein Häuschen an. Nach Selfoss führt die Strasse nach einem Linksknick dem Fusse des Ingólfsfjall entlang, einer fast 500 Meter hohen Erhebung mit offenbar massiven Felsstürzen und Steinschlägen. Der Legende nach ist dieser nach Südosten gerichtete Abhang der bevorzugte Ort für sogenannte «Schwiegermutter-Sommerhäuser» der Männer aus Selfoss. Es ist nicht schwierig, die dahinter liegende Absicht zu erkennen. Aber die Schwiegersöhne haben ihre Rechnung eben ohne die Elfen gemacht. Die beschützen nämlich die Schwiegermütter und so ist kein Häuschen bisher unter den tonnenschweren Felsbrocken begraben worden.
Auch am Kerið-Karter fuhren wir vorbei. Der war früher offenbar Teil des Golden Circle-Programms, aber seit Eintritt bezahlt werden muss, ist er von der Liste der Sehenswürdigkeiten gestrichen worden. Nun ja, für mich kein Problem, wir waren 2016 da.
Friðheimar Greenhouse
Die meisten Gewächshäuser Islands sind um die Dörfer Fludir und Reykholt konzentriert. Normalerweise werden Anbauflächen in Hektar kalkuliert, in Island spricht man über Quadratmeter in den Gewächshäusern. Diese Gewächshäuser produzieren fast 80% des Isländischen Gemüsebedarfs, Früchte werden importiert. Mit Wasser aus den heissen Quellen wird geheizt (auf 24°) und mit Strom aus Wasserkraft oder Geothermie beleuchtet, was vor allem im dunkeln Winterhalbjahr entscheidend ist. Aber Strom ist vermutlich das einzig Billige in Island, deshalb sind die Kosten dafür vernachlässigbar.
Im Friðheimar Greenhouse in Reykholt werden Tomaten gezogen. Die Bestäubung der Blüten übernehmen aus Holland importierte Hummeln, die alle acht bis zehn Wochen ersetzt werden müssen.
Geysir
Nach dem ±kommerziellen Abstecher ging’s nun raus in die Natur. Von der Tomatenfarm zum Geysir-Gelände waren es nur etwa 20 Minuten im engen Car. Und hier hatten wir anderthalb Stunden Zeit. Der namensgebende Grosse Geysir ist schon seit Jahren inaktiv, aber sein kleiner Bruder Strokkur bricht ziemlich zuverlässig alle 5 bis 10 Minuten aus, manchmal richtig, manchmal ähnelt es höchstens einem gigantischen feuchten Furz der Natur.
Die Temperatur lag zwar über den Gefrierpunkt, aber es wehte ein bissiger Wind. So war ich nicht unfroh, wieder in den Car zu steigen für die Fahrt zum nächsten Highlight des Golden Circles, des Gullfoss.
Gullfoss
Der Wasserfall besteht aus zwei Stufen von 11 und 21 Metern Höhe. Die beiden Kaskaden stehen fast rechtwinklig zueinander. Seine durchschnittliche Wasserführung beträgt nur etwa 110 m3 pro Sekunde, im Sommer etwas mehr (375 m3 sind es beim Rheinfall über eine Höhe von 23 Metern), allerdings wurden auch schon 2’000 m3 gemessen.
Dass es diesen Wasserfall noch gibt, ist dem Einsatz von Sigríður Tómasdóttir vom nahegelegenen Hof Brattholt zu verdanken, die um 1920 den Bau eines Elektrizitätswerks am Wasserfall verhinderte. Beim Rheinfall ist diese Diskussion im Zuge der drohenden Energieknappheit gerade wieder aufgekommen.
Badass Off-Roaders
Schon 2016 sind mir die höhergelegten und mit gigantischen Reifen ausgerüsteten Off-Roaders in Island aufgefallen und der Parkplatz beim Gullfoss scheint ein besonderer Schmelztiegel dafür zu sein. Das geht so weit, dass sogar die Amerikaner diesen Fahrzeugen das wohl höchste Lob der Szene, «badass», angedeihen lassen.
Eine letzte Station der Golden Circle Tour stand noch aus: Der Þingvellir Nationalpark. Wir hatten den sowohl 2016 wie auch 2018 ausgelassen, weil er uns zu wenig spektakulär schien, was sich, ehrlich gesagt, bestätigt hat.
Þingvellir Nationalpark
Der Þingvellir Nationalpark hat eine hohe historische Bedeutung für Island. Bereits um 930, am Ende der Landnahme durch norwegische Wikinger, wurde einmal jährlich während zwei Wochen im Juni die Versammlung Althing abgehalten, die sowohl gesetzgeberische als auch gerichtliche Funktion hatte. Es handelt sich damit um eines der ältesten Parlamente der Welt. Das Althing bestand bis 1798, dann wurde es von den Dänen aufgelöst.
Þingvellir liegt aber auch in der Grabenbruchzone zwischen der nordamerikanischen und eurasischen Kontinentalplatte. Diese tektonischen Platten entfernen sich jährlich ca. 2 cm voneinander und der Boden dazwischen senkt sich um 1 cm. Das führt allenthalben dazu, dass Wege neu befestigt werden müssen, weil sich Schrunde geöffnet haben.
Der Regen hatte mittlerweile aufgehört, als mich die Nachricht erreichte, dass auch die heutige Northern Lights Tour abgesagt sei. Schade, aber da kann man nichts machen. Man muss es einfach wieder einmal versuchen. Aber langsam hatte ich auch genug von der Fahrt im Bus und die Rückfahrt nach Reykjavík dauerte fast eine Stunde. Aber als dann das Drop-off in den engen Strassen Reykjavíks mit diesem 50-Plätzer begann, da hatte ich genug, stieg vorzeitig aus und gönnte mir ein Nachtessen im Sólon, unserer «Stammbeiz» in Reykjavík.
Rückreise
Der Rückflug war um 07:20 geplant, mir wurde geraten, zwei Stunden früher dort zu sein. Bei einer Transferzeit von etwa einer Stunde mit dem FlyBus vom BSÍ Reykjavík Bus Terminal zum Flughafen Keflavík bedeuetete dies, um 04:20 abzufahren. Pick-up beim Hotel um vier. Hätte die Northern Lights Tour stattgefunden, dann wäre ich erst nach ein Uhr ins Bett gekommen…
Zurück im Hotel checkte ich aus und bat um die Vormerkung für das morgige Pick-up. Irgendwie hatte ich den Eindruck, dass die Dame an der Réception entweder nicht begriffen hatte, was ich wollte oder es ihr einfach egal war. Ich packte und stellte den Wecker auf drei Uhr. Kurz vor drei Uhr erwachte ich und freute mich, noch etwas liegen bleiben zu können. Aber der Wecker ging nicht ab. Entweder hatte ich ihn gar nicht eingestellt oder irrtümlich ausgemacht, jedenfalls war es inzwischen halb vier und ich musste mir ja noch ein Picknick-Frühstück zusammenstellen.
Deutlich vor vier Uhr fuhr auch der Pick-up Bus vor und ich folgte der einzigen anwesenden Person. Und meine Befürchtung hat sich bestätigt: Dem Fahrer war nur ein Fahrgast gemeldet und ich hatte ja kein Ticket. Er akzeptierte dann aber den (deutschen) Prosatext meiner Reservationsbestätigung, den er ganz sicher nicht verstanden hatte und liess mich zusteigen. Beim Umsteigen auf den FlyBus dasselbe in Grün. Aber es war der gleiche Fahrer, der auch den Pick-up Bus gefahren hatte und deshalb konnte ich ohne Ticket und Reservation mitfahren. Vielleicht wurde ich deshalb dafür bestraft, ging doch die LED-Leselampe über meinem Kopf ständig an- und aus. Für mich war das vermutlich weniger störend als für die Mitfahrenden hinter mir, die direkt geblendet wurden.
Das Check-In hatte ich bereits am Vorabend gemacht, jetzt ging es noch darum, beim Self Baggage Drop-Off den Rollkoffer loszuwerden. Nach fünf Minuten anstehen war auch das erledigt. Noch beim Tax-Refund-Schalter vorbei, um die 14.5% MwSt zurückzufordern und dann durch die Sicherheitskontrolle. Ich wurde rausgenommen, die 30’000 mAh-Powerbank war suspekt. Aber schliesslich war auch das erledigt und ich musste noch über eine Stunde in einem rappelvollen Terminalgebäude warten.
Ich hatte den Sitz 6A in der Boeing 737 MAX 8 «Dyrhólaey» ja noch in der Erwartung gebucht, einen Blick auf den Fagradalsfjall werfen zu können. Das wäre vor allem jetzt, bei noch stockdunkler Nacht, spektakulär gewesen. Aber erstens war ja die Eruption am Vortag meiner Anreise für beendet erklärt worden und zweitens regnete es gerade wieder einmal in Strömen. So genoss ich die Dunkelheit in der Kabine (der Platz neben mir war frei), die ersten anderthalb Stunden wurden als Nachtflug ohne Beleuchtung durchgeführt.
Na ja, so ganz reibungslos ist diese Rückreise ja nicht verlaufen und wie um zu beweisen, dass man immer noch einen oben drauf setzen kann, ging es geschlagene 40 Minuten, bis das Gepäckband endlich die Koffer und Taschen ausspuckte.
Fazit
- Hat es sich gelohnt, auch wenn das eigentliche Ziel, Polarlichter zu sehen, nicht erreicht wurde?
Ja, es gibt ja so viel anderes zu sehen und Island passt mir einfach. - Würde ich es wieder machen?
Ja, aber nicht alleine. Mindestens Madeleine müsste mit dabei sein, am liebsten die ganze Familie.
Und den mit den Busreisen müsste ich auch nicht mehr unbedingt haben…