Egal, ob es Mattstock oder Mattstogg heisst, der Hausberg Amdens war das Ziel einer Flucht vor dem November-Blues.
Am Teammeeting vom Dienstag wurden wir noch einmal darauf hingewiesen, dass Corona-bedingt keine Ferien ins neue Jahr übernommen werden dürfen. Die Planung einer Zweitagestour schlug fehl, weil nach dem Schnee der letzten zwei Wochen überall die Winterpause bereits begonnen hatte. Ebenalp-Wirt Sepp Kölbener entschuldigte sich fast und meinte, wenn man gewusst hätte, dass der Schnee praktisch wieder verschwindet, dann hätte man vermutlich noch nicht mit Putzen und Einwintern begonnen – ja, essen könnte ich noch, aber nicht mehr übernachten.
So arbeitete ich am Donnerstag im Home-Office unter der zähen Hochnebeldecke und überlegte mir, wie ich wohl meinen Feriensaldo doch noch sinnvoll tilgen könnte.
Am Freitag Morgen dann die Idee: Wenn schon nicht im Alpstein, dann vielleicht der Mattstock (1’936 m). Den Speer hatte ich für nächstes Jahr bereits auf dem Programm und heuer sollte es ja nur ein Kurztrip werden. Wetterprognose nochmals und Fahrplan geprüft, ein E-Mail an den Chef, dass ich heute einen meiner sechseinhalb Tage abbauen werde, gepackt und los. Für solche Touren bin ich eigentlich immer in einer Art Halbbereitschaft, ich schnappe mir die Ausrüstung und los geht’s. Neu war diesmal die Oberbekleidung für die Übergangszeit nach dem Zwiebelschalenprinzip: Ein leichtes, schnelltrocknendes Hoodie und dazu ein separates, ebenfalls sehr leichtes Gilet für den Aufstieg, die Daunenjacke war für die Anreise und als Reserve mit dabei.
Mit dem IC 4 nach Zürich und da mit einem «Schüttelbecher» (der neue Fernverkehrs-Doppelstöcker ist leider, entgegen aller anderslautender Beteuerungen, weit vom Komfort-Niveau der alten Doppelstöckerwagen entfernt) nach Ziegelbrücke, meist in dichtem Nebel. Mit dem Bus der AWA dann Richtung Amden Dorf. Auch als nach Weesen der Aufstieg nach Amden begann, war noch wenig von der erhofften Sonne zu sehen.
Der Bus nach Amden war voll mit Bergwanderern und Bergsteigern, deshalb war ich einigermassen erstaunt, dass ich der Einzige war, der in Amden-Dorf ausstieg. Der Sessellift nach Niederschlag war in Betrieb, das konnte ich schon vorher feststellen, aber ich war weit und breit der einzige Fahrgast.
Der Sessellift scheint irgendwie aus der Zeit gefallen zu sein: Die Sitze sind zwar gepolstert, aber das ist es dann auch schon. Aber er macht einen sicheren und gepflegten Eindruck.
Oben angekommen entledigte ich mich schon mal der äussersten Zwiebelschicht und kurz nach Beginn des Aufstiegs war klar, man hätte auch locker mit T-Shirt und kurzen Hosen starten können. Die Sonne brannte unbarmherzig nieder und tauchte die Umgebung in ein gleissendes Licht, das von den Reflexionen des Nebelmeers über dem Walensee noch verstärkt wurde.
Der Weg war einfach, gut ausgeschildert und markiert und im letzten Teil unter dem Gipfel ein wahrer Slalomlauf zwischen den Lawinenverbauungen. Teilweise wegen des reichlich Schmelzwassers auch recht schlammig. Meine Schuhe und Hosen sahen aus, als hätte ich beim Schlamm-Catchen mitgemacht…
Während des Aufstiegs ist mir ein Mensch entgegengekommen, zwei hatte ich seit Beginn im Blick und hätte sie fast noch eingeholt und zwei waren bereits auf dem Gipfel. Fünf Personen – meiner Ansicht nach nicht viel, vor allem bei solchem Wetter. Oben war die Rundsicht, trotz leichtem Dunst, phänomenal.
Die Bestimmung der umliegenden Gipfel ist je nach Standort und Licht gar nicht so einfach. Aber da gibt es ja inzwischen einige Apps, die auch Ungeübte in der Benennung unterstützen, so beispielsweise PeakFinder. PeakFinder wurde von Fabio Soldati programmiert nach einem Zwist seiner Schwester mit ihrem Mann wegen eines Berggipfels.
Im Abstieg hat dann auch der «Verkehr» angezogen. 31 Leute sind mir begegnet, bei einigen bin ich mir nicht sicher, ob sie es denn bis ganz oben geschafft haben.
Die Sonne schien nach wie vor und ich hatte noch genug Zeit, also entschloss ich mich zu einem kleinen Umweg. Auf die Idee gebracht hatte mich Cornel, der mir am Morgen noch einen Wanderbericht des Mattstocks geschickt hatte. Der Weg führte entlang des Südfusses des Mattstocks zur Oberfurggle und so hatte ich die Möglichkeit, den Mattstock noch von einer ganz anderen Seite zu sehen.
In Zürich klarte der Himmel noch etwas auf, aber meine Hoffnung auf letzte Sonnenstahlen in Schaffhausen zerschlugen sich schon auf Höhe des Flughafens. Aber innerlich konnte ich ja Sonne tanken und zwar mit einer Intensität, die den Speicher zu 100% füllte.