Der schmale Grat windet sich wie ein graues Band zwischen schwindelerregenden Abgründen. Über ihnen ragt eine zerklüftete Felsspitze in den Himmel, wie der Finger eines uralten Riesen, der den Himmel anklagt.
Ein kalter Wind fährt durch die Spalten im Stein, ein tiefes, unheimliches Pfeifen hallt von den Hängen wider. Die Sonne brennt, aber der Pfad liegt wie erstarrt im Schatten des drohenden Turms aus Fels. Aus der Ferne ertönt ein dumpfes Grollen – nicht von Donner, sondern von etwas Tieferem, das sich irgendwo jenseits des Gebirges bewegt.
Das Tschingellochtighore könnte durchaus auch als «Herr der Ringe»-Kulisse dienen.
Aber das hier ist keine Kulisse, das ist Realität. Abstossend und gleichzeitig anziehend in der abweisenden Schroffheit und der kargen Umgebung. Eine Szenerie aus einer anderen Welt zwischen der Engstligenalp und dem Gemmipass.
Engel Priska I. aus A.
Bevor das Abenteuer im Paralleluniversum überhaupt beginnen konnte, musste ich irdische Prüfungen bestehen, um mich zu qualifizieren. Und ich scheiterte kläglich. Um zur Talstation der Seilbahn auf die Engstligenalp zu kommen, hätte ich vor Adelboden an der Haltestelle Oey den Bus wechseln sollen. Plötzlich meinte ich, über den Lautsprecher «zur Engstligenalp hier aussteigen» gehört zu haben. Da gleichzeitig noch acht andere Leute den Bus verliessen, machte ich mir nicht grosse Gedanken. Erst draussen dräute es mir, die Durchsage wohl falsch verstanden zu haben: Von «Elsigbach» war die Rede gewesen, nicht von Engstligenalp. Tja, das hiess wohl, eine Stunde auf den nächsten Bus warten, was mich ehrlich gesagt schon ärgerte, weil ich wegen der langen Anreise doch schon ziemlich spät dran war. Aber ich hatte auf verschiedenen Touren im Urner- und Bündnerland gute Erfahrungen mit Autostopp gemacht (ich mache offenbar auch keinen bedrohlichen Eindruck), also warum auch nicht hier? Es dauerte aber schon etwa eine halbe Minute, bis ein Servicefahrzeug der AFA Bus anhielt und mit mitnahm. Am Steuer Engel Priska I. aus A., die mich dann gleich bis zur Talstation fuhr, wo ich noch mit denselben Leuten, mit denen ich in Frutigen eingestiegen war, mit der Seilbahn zur Engstligenalp hochfahren konnte.

Das war ein fantastischer Startpunkt für eine Tour, die mich in ihrer Gesamtheit überraschte. Es ging mir ja nicht darum, auf dem schnellsten Weg von der Engstligenalp zum Gemmipass zu kommen, sondern ich wollte die pittoreske Sicht auf das Tschingellochtighore erleben, was einen nicht ganz unwesentlichen Umweg bedeutete. Dazu musste ich kurz nach der Bergstation nach links Richtung Artelegrat abbiegen.






















Nach der völligen Abgeschiedenheit der Bergwanderung fand ich mich in einer Umgebung wieder, in der es mir nicht behagte. Ich beschloss daher, so schnell wie möglich den Heimweg anzutreten und nahm die nächste Seilbahn nach Leukerbad.


