Viele Wege führen nach Rom, aber fast so viele auf den Säntis. Die meisten habe ich schon gemacht, aber der Aufstieg über die Wagenlücke fehlte noch in meinem «Alpstein-Palmares». Der Weg scheint nicht besonders populär zu sein, ganz im Gegenteil, wegen seiner gefühlten Unfallhäufigkeit wird er eher als schwierig eingestuft.
Aber der Reihe nach. Kachelmann versprach einen strahlenden Tag, was aber im Alpstein auch immer mit Schleiderbewölkung verbunden sein kann. Aber ich musste früh aus den Federn, weil ja der Touristen-Hotspot Seealpsee auf der Route lag und ich keine Lust hatte, inmitten von Massen unterwegs zu sein. 05:15 war Abfahrt in Schaffhausen mit Wechsel auf den Bahnersatzbus in Henggart bis Winterthur wegen Unterhaltsarbeiten. Meinen leichten Muskelkater vom gestrigen Training spürte ich zwar noch und dafür bot der steile Fahrweg zum Seealpsee eine ideale «Aufwärmstrecke».
Schon kurz nach Wasserauen hatte ich meinen Midlayer ausgezogen, es wehte ein leichter, aber für die Jahreszeit ungemein warmer Wind. Von da an ging’s im T-Shirt bis hoch zum Gipfel, obwohl bis zur Wagenlücke alles im Schatten lag.
Ich hatte einen strahlenden Herbstmorgen erwartet, stattdessen kroch der Morgen so langsam in den Tag, was aber auch seinen Reiz hatte. Den Mesmer, den strecken- und höhenmässigen Mittelpunkt der Tour, erreichte ich nach zwei Stunden.
Und ja, was mich dahinter erwartete, war auf den ersten Blick etwas einschüchternd. Kein liebliches Tal, keine einladenden Weiden, nur eine archaische Geröllwüste.
Ich hatte ja zwar noch das 500mm-Teleobjektiv dabei, um gezielt auf Pirsch zu gehen. Sogar ich habe es jetzt gemerkt: Das war und ist ein Trugschluss. Entweder machst du eine Tour oder du gehst auf die fotografische Jagd. Beides lässt sich so nicht vereinbaren und ich kann mir die anderthalb Kilo Zusatzgewicht in Zukunft sparen.
Ab der Wagenlücke hatte ich zunehmend Mühe. Vielleicht war es keine gute Idee, mit (leichtem) Muskelkater auf eine solche Tour zu gehen. Da es aber nur bergauf ging, hatte ich eigentlich keine Bedenken. Meinen besten Kraft-/Ausdauer-Mix erreichte ich wohl, als ich in Basel im Fitnesscenter auf dem Stepper unendlich Treppen stieg. Mit dem Crosstrainer (notabene ein Occasionsgerät aus diesem Fitnesscenter) konnte ich zwar die Ausdauer halten, aber nicht die Kraft. Das habe ich jetzt bei den Hüttentouren und den Klettersteigen wieder gemerkt. Daran muss ich arbeiten. Aber damit war meine «Via Dolorosa» noch nicht zuende…
Aber irgendwann ist jeder Leidensweg vorbei. Entweder endet es in einer Katastrophe oder es geht gut aus. In meinem Fall letzteres, dazu trugen auch Quöllfrisch und Appenzeller Chäshörnli im Alten Säntis bei.
Für die etwas über 10 km Distanz und 1’670 Höhnemeter benötigte ich vier Stunden. Vielleicht sollte ich es in Zukunft ganz einfach etwas gemütlicher angehen…
P.S. 1912 existierten einmal Pläne, analog der Rigibahn eine Bahn von Appenzell über Wasserauen – Seealp – Meglisalp – Wagenlücke auf den Säntis zu bauen. Landammann und Ständerat Johann Baptist Emil Rusch nannte das Vorhaben eine «traurige Verirrung menschlichen Stolzes». Schliesslich kam die Finanzierung aber nicht zustande und so bleibt die Luftseilbahn ab der Schwägalp die einzige Möglichkeit, bequem auf «den Berg» zu kommen.