Fehltritte sind nie gut und in den Bergen sind sie speziell kritisch oder können auch einmal fatal enden. Fehltritte kann man aber auch sonst machen und hätten wir vor 25 Jahren einen gemacht, dann würde wohl dieser Beitrag nie geschrieben worden sein: Vor 25 Jahren, am 30. Juli 1999, haben Madeleine und ich geheiratet, wir können also unsere Silberhochzeit feiern. Weltgeschichtlich ein bedeutungsloser Augenblick, für uns eine wichtige, glückliche, bereichernde und schöne Zeit mit zwei wunderbaren Töchtern und Tausenden anderer Dinge und Erlebnisse. Natürlich hatten (und haben) auch wir unsere Schwierigkeiten und Probleme, aber sie gemeinsam überwinden, schweisst noch enger zusammen. Madeleine, ich liebe dich und freue mich auf all die Jahre, die uns noch bleiben.
Grosses Aufheben wollten wir daraus nicht machen und planten einen «Event» für nur uns zwei: Eine Tour im Alpstein mit vorheriger Übernachtung im Berggasthaus «Alter Säntis». Geplant war die Route Säntis – Rotsteinpass – Flieskopfsattel – Zwinglihütte – Wildhaus. Ohne Fehltritt, wenn möglich.
Momentan ist die Strecke Dachsen – Andelfingen wegen Bauarbeiten gesperrt, aber schlauerweise gibt es sogar einen direkten Busersatzverkehr Schaffhausen – Andelfingen. Wenn er denn fährt. Aber er kam schon gar nicht. Glücklicherweise fuhr noch der Postautokurs 630 nach Andelfingen und gemäss Chauffeur würden wir so den Anschluss ebenfalls erreichen. Es klappte und nach umsteigen in Winterthur, Gossau und Urnäsch erwischten wir auf der Schwägalp die zweitletzte Bergfahrt der Luftseilbahn auf den Säntis (2’502 m).
Grosse Stricke zerrissen wir an diesem Abend auch nicht mehr. Nach dem Nachtessen im Berggasthaus richteten wir uns gemütlich in unserem Zimmer ein.
Nach einem leichten Frühstück waren wir dann bereit für die Tour. Der Weg über den Lisengrat ist teilweise etwas ausgesetzt (Schwindelfreiheit ist von Vorteil) und hat einige ruppige Stellen, ist aber hervorragend gesichert und mit gutem Schuhwerk eigentlich kein Problem. Handschuhe sind empfehlenswert, um sich an den Halteseilen nicht zu verletzen (oder bei Kälte festzufrieren).
Misstritt
Wie gehen wir jetzt damit um? Die ursprüngliche Route würden wir nicht machen können, der Abstieg vom Fliekopfsattel zur Zwinglihütte findet eigentlich nur im Geröll statt. Bleiben zwei Optionen: Rechts vom Rotsteinpass direkt nach Wildhaus absteigen oder links über die Meglisalp nach Wasserauen. Den Weg vom Rotsteinpass nach Wildhaus habe ich noch nie gemacht und auf der Meglisalp waren wir schon einige Male. Das hat dann den Entscheid zugunsten der Meglisalp beeinflusst.
Nach einem sehr guten Mittagessen nahmen wir die nächste Etappe unter die Füsse. Wiederum stand ein Entscheid an: Über Schrennenweg und Hüttentobel/Katzensteig nach Wasserauen oder über den Seealpsee und von da an über die elend langweilige, sehr steile, aber asphaltierte Fahrstrasse zum Bahnhof?
Der Abstieg zum Seealpsee war auch kein Honigschlecken. Aber die Aussicht auf ein weiteres Quöllfrisch im Restaurant Seealpsee oder Forelle machte die Pein erträglicher. Ja, das genossen wir dann auch.
Was jetzt folgte, war einfach nur schrecklich: Der Abstieg nach Wasserauen über die Fahrstrasse. Steil, häufig an der prallen Sonne, scheinbar nicht enden wollend. Das ist hinter dem Abstieg vom Plattenbödeli durch’s Brüeltobel das schlimmste Wegstück im ganzen Alpstein! Aber auch das brachten wir hinter uns und die Zeit bis zur Abfahrt des Zuges erlaubte uns sogar, noch einmal, einzukehren. Für Madeleine löste ich vor der Abfahrt online noch einen Klassenwechsel und schon waren wir mit den Appenzeller Bahnen auf dem Weg nach Gossau.
Während der Fahrt dahin verschwanden sämtliche normalen Verbindungen aus der Fahrplan-App. Neu sollten wir ab Herisau über Konstanz und Singen fahren oder ab Gossau mit der S1 nach St. Gallen und dann weiter nach Schaffhausen. Letzteres erledigte sich dann von selbst, weil es offenbar in Mammern wegen einem «Fremdereignis» zum Streckenunterbruch gekommen war. Wir entschieden uns, trotz all dieser verwirrenden Angaben in Gossau auf einen Zug nach Winterthur zu warten. Der kam dann auch. Allerdings in der umgekehrten Reihung wie angezeigt. Aber wir wollen ja nicht klagen, denn schlimm wurde es erst später…
Der baubedingte Unterbruch zwischen Andelfingen und Dachsen dauert jetzt schon länger. Auch ein Ersatzverkehr ist eingerichtet, aber bitte einer, der den Namen auch verdient! Offiziell muss man in Andelfingen in den Bus nach Dachsen umsteigen und kann ab dort wieder mit dem Zug nach Schaffhausen fahren. Einem findigen Kopf ist dann doch in den Sinn gekommen, dass vermutlich etwa 80-90% der Passagiere, die in Andelfingen den Zug verlassen müssen, nach Schaffhausen wollen, also hat man – löblicherweise – einen Direktbus eingerichtet. Wenn sich also die S33 in Andelfingen entleert, dann ist der Ersatzgelenkbus innert Minuten voll und ich meine, wirklich voll. Aber er fährt nicht ab, sondern wartet noch die S24 ab, die eine Viertelstunde später in Andelfingen eintrifft. Obwohl aus diesem Zug niemand mehr in den Bus einsteigen kann und obwohl ein zweiter Direktbus gleichzeitig bereits steht. Vermutlich hätte er nach verfrühter Ankunft im Busbahnhof Schaffhausen ein Problem, weil der Standplatz zu lange blockiert würde. Da lässt man doch lieber die zusammengepferchten Leute im Bus an praller Sonne schwitzen, ohne sich von der Stelle zu rühren und wenn möglich ohne die Klimaanlage laufen zu lassen, weil dazu der Motor gestartet werden müsste. Ist mir jetzt schon mehrfach passiert. «Geschätzte Fahrgäste» werden wir genannt und «um Verständnis» wird gebeten. Ein Hohn! Die Chauffeure sind die Prügelknaben, weil niemand (sicher in einem klimatisierten Büro) dafür zuständig zu sein scheint. Was für eine Schande! Hier wird sich vermutlich bis zum Unterbruchsende nichts mehr ändern und ich werde mich dazu auch nicht mehr äussern.
Madeleine hatte im Bus eine interessante Gesprächspartnerin gefunden, zufällig Ärztin und kam so auch zu einer allgemeinen Diagnose von Knöchel und Knie. Glücklicherweise, das stellte sich später heraus, war nichts angerissen oder sogar gerissen. «Nur» eine Verstauchung, die aber, gerade in den Bergen, ein grosses Handicap sein kann.
Fazit: Es war wunderschön, wir hatten grosses Glück mit dem Wetter und einen neuen Rekord aufgestellt in der Anzahl Gasthausbesuche im Alpstein an einem Tag (Alter Säntis, Rotsteinpass, Meglisalp, Seealpsee und Bahnhof Wasserauen). Verständlicherweise haben wir etwas länger gebraucht als geplant, aber mit über 1’700 Metern Abstieg auch eine respektable Leistung gezeigt (spürten wir dann schon noch in den Oberschenkeln). Solche Touren beabsichtigen wir in Zukunft häufiger zu machen.
Witzigerweise wird in Relive nur der Aufstieg angezeigt, nicht aber der Abstieg.